Kraftpaket im März
Scharbockskraut gehört zu den ersten essbaren Wildpflanzen im Frühjahr
Noch sind die meisten Bäume kahl, die letzten braunen Blätter nicht komplett verschwunden. Doch der wer genauer hinschaut, weiß: Der Frühling steht in den Startlöchern. Während aus manchen Knospen zartes Blattgrün zaghaft sprießt, bahnt sich aus der Erde vielerorts das erste frische Grün den Weg ans Licht. Spätestens jetzt ist es Zeit, beim nächsten Gang ins Freie den Sammelbeutel griffbereit zu haben, um uns mit lebenswichtigen Vitaminen und Mineralstoffen direkt aus der Natur zu versorgen. Noch ist die Auswahl beschränkt, doch einige wenige Wildpflanzen stecken im März bereits voller Kraft. Nach der kalten, dunklen Jahreszeit können sie unser Immunsystem auf Vordermann und unseren Stoffwechsel in Schwung bringen.
Rettung für die Seeleute
Es ist mittags, das Wetter mild. Wie jeden Tag drehe ich zwischen Online-Meetings, Excellisten und Manuskriptarbeit – „Homeoffice“ sei Dank – meine Runden auf einem Friedhof in der Nähe meines heimatlichen Arbeitszimmers.
Hier fühle ich mich ungestört. Menschen sind hier kaum, Hunde gar nicht unterwegs. Dafür gibt es zahlreiche Ecken wilder Natur. Ich lasse das Digitale hinter mir, scanne den Boden mit aufmerksamem Blick. Ich weiß, was ich suche.
Auf einer freien Stelle bilden Grasbüschel, Laubreste und einige löchrig fleckige Blattreste vom letzten Jahr eine triste Gemeinschaft. Genau hier entdecke ich sie: in sattem Grün glänzende, runde, leicht herzförmige Blätter mit einem Durchmesser von nicht mehr als zwei Zentimetern. Jedes einzelne ist verbunden mit einem nur unwesentlich längeren Stängel, der wiederum aus einer Wurzelknolle kurz unter der Erdoberfläche emporstrebt. Die Blätter fest verbunden mit dem Rest der Pflanze, demonstriert das unscheinbare Kraut seine Kraft. Fast so, als wehre es sich gegen jeglichen Angriff auf sein Dasein. Es ist so widerspenstig, wie sein Name klingt: Scharbockskraut. Scharbock, der alte
Name für Skorbut, verrät, was in der Pflanze steckt. Auch bekannt als „Seefahrerkrankheit“, bezeichnet Skorbut den, früher oft tödlich endenden Mangel an lebenswichtigem Vitamin C, dem viele Seeleute in frühen Zeiten nach langen Monaten auf dem Schiff ausgesetzt waren. Vermutlich hat das Kraut einst vielen von ihnen das Leben gerettet. Noch heute erinnert es nicht nur an das damalige Leid auf hoher See, sondern auch an unseren, ungebrochen hohen Bedarf an Extra-Vitaminen. Zwar können wir uns vielerorts nahezu rund um die Uhr mit Lebensmitteln versorgen, doch auch in Zeiten florierender Bio-Angebote ist unsere Nahrung nehmend nährstoffarm und mit Schadstoffen belastet. Spätestens wenn sich in kühlen oder Übergangszeiten allerorts die Schniefnasen mehren, kann unser Immunsystem von einer Portion Scharbockskraut profitieren.
Ich nehme mein Taschenmesser zur Hand, und mit ein paar gezielten Schnitten gewinne ich das Kräftemessen gegen das kleine Kraftpaket. Ein paar Blättchen, mehr braucht es nicht, um meinen Vitamin-C-Haushalt auf Vordermann zu bringen. Einige davon verzehre ich gleich auf dem Heim-weg, den Rest breite ich in meiner Küche aus, entferne Erde, Gras und Laubreste und gebe Krabbeltieren Gelegenheit zur Flucht. Erst dann wird meine wilde Ernte gewaschen, um kurz darauf als klein gehackte Zutat die Petersilie auf meinem Gemüse ersetzen. Das Ganze schmeckt wunderbar frisch, mild und gesund. Auf eine schnelle Verarbeitung kommt es an, da sich Vitamin C bei Wärme und Licht schnell abbaut. Auch daher empfehle ich keine Zubereitung als Tee.
Essbar bis zur Blütezeit
Bis Ende März, je nach Wetterlage, Anfang April kann das Scharbockskraut gesammelt und verzehrt werden. Sobald sich die gelben, sternförmigen Blüten zeigen, sollten wir uns allenfalls an seinem Anblick erfreuen. Dann bildet es das giftige Protoanemonin und die Pflanze wird ungenießbar.
Zu finden ist das Scharbockskraut an eher feuchten, nährstoffreichen Standorten, oft nahe Bachläufen, an Waldrändern oder auf feuchten Wiesen, wo es sich munter gerne gleich zu ganzen Teppichen ausbreitet. Mit etwas Geduld können hier größere Mengen gesammelt werden, um einen kleinen Vorrat Pesto herzustellen. So trotzen wir der kurzen Sammelzeit. Ich bevorzuge allerdings den direkten Verzehr und hebe mir die Lust auf Pesto für die allmählich startende Bärlauch-Saison auf.
Scharbockskraut: Rezepte & Infos
->Als frische Ergänzung zur Mahlzeit: Eine Handvoll Blätter waschen, klein hacken und auf Salat, Gemüse oder Nudeln streuen oder als grüne Zutat in ein Joghurtdressing geben. Die Stängel können mitverwendet werden.
->Pesto: Ca. 100 Gramm Blättermischung aus Scharbockskraut, Rucola oder Spinat mit 100 Gramm Nüssen, Sonnenblumenkernen oder gemahlenen Hanfsamen, 50 ml Olivenöl mit dem Saft einer halben Zitrone mit einem Stabmixer oder in der Küchenmaschine zu einer stückigen Masse verarbeiten. Mit Salz und Knoblauch abschmecken. Zitrone verhindert eine Braunfärbung durch Oxidation. Schmeckt zu Nudeln oder als Brotaufstrich. Zum Aufbewahren in ein Glas füllen und mit Olivenöl bedecken. Hält sich im Kühlschrank mehrere Monate.
->Winterlicher Smoothie: Je eine Handvoll Scharbockskraut und grünes Blattgemüse (z. B. Spinat oder Rucola), 1 Apfel, 1 Orange, Saft einer halben Zitrone, ein Stück Ingwer, 200 bis 300 ml Wasser im Hochleistungsmixer cremig mixen. Wahlweise mit einem Topping aus getrockneten Beeren oder Samen langsam genießen. So hat der Körper die Chance, die geballten Nährstoffe gut aufzunehmen. Smoothies sollten gekaut werden!